Werkstatt 2 - Wie nachhaltig ist grünes Bauen?

Katja Fischer, Prof. Dr. Thomas Lützkendorf und Andreas Rieger entwickeln mit euch ein gemeinsames Verständnis vom nachhaltigen Bauen. Anhand von inspirierenden Beispielen wollen wir besprechen, was Bauen in Zukunft ausmachen sollte und was wir dafür heute ändern müssen. Dabei geht es um ein neues Bewusstsein für das Vorhandene und Verhältnis zu unseren Ressourcen, um neue Standards und eine neue Verantwortung aller Beteiligten.

Fragmente für das Artefakt einer Zusammenfassung

Ökologisches (Um-)Bauen als Teilaspekt einer nachhaltigen Entwicklung

Neue Standards: was nachhaltiges Bauen ausmacht

Katja Fischer, Thomas Lützkendorf, Andreas Rieger

Bereits im Vorfeld der Werkstatt hatten die Impulsgeber:innen in einem intensiven Austausch erste Ausgangspositionen erarbeitet. Diese wurden in den Impulsen aufgegriffen, mit denen versucht wurde, Positionen von Pionieren und Machern im Kontext eines Gesamtsystems der Aufgaben und Ziele einer nachhaltigen Entwicklung zu verorten. Entstanden waren zunächst folgende Thesen:

  1. Wir - die Gestalter:innen und Nutzer:innen von Gebäuden und baulichen Anlagen – arbeiten und leben selbst im Reallabor der gebauten Umwelt. Wir müssen gemeinsam Verantwortung übernehmen für Gesellschaft und Umwelt und dabei das Verhältnis Mensch – Natur neu definieren. Dies ist für uns alle zu allererst ein Denk- und Lernprozess – und wir nehmen selbst am Experiment ZUKUNFT teil.

  2. Eigentlich wissen wir schon lange (seit den 70er-Jahren spätestens), was zu tun wäre, technisch und organisatorisch ist im Bauwesen fast alles schon heute umsetzbar. Was hindert uns das zu tun, was getan werden müsste? Und wie kann diese Blockade aufgehoben werden? Der Weg führt über Partizipation und Baukultur.

  3. Bei der erwünschten Diversität von Mitteln und Wegen zur Unterstützung einer nachhaltigen Entwicklung müssen wir uns auf richtungssichere Standards für das Planen, Bauen und Betreiben verständigen. Diese weichen u.U. von bisherigen Routinen und Gewohnheiten ab, gehen über Themen wie Klimaschutz und Ressourcenschonung hinaus und beziehen kulturelle, soziale und wirtschaftliche Aspekte ein. Der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen für uns und kommende Generation ist dennoch die zentrale Aufgabe.

  4. Der Gebäudebestand ist eine Ressource von ökologischem, kulturellen und ökologischem Wert, die optimal genutzt, erhalten und gemanagt werden muss. Dies schließ eine Weiterentwicklung und Anpassung sowohl an neue Herausforderungen als auch an neue technische Möglichkeiten ein. Rückbau, Ersatzneubau und Zubau werden so zu Sonderfällen einer dynamischen und zielgerichteten Bestandsentwicklung.

  5. Die Weiterentwicklung des Gebäudebestandes muss innerhalb der planetaren Grenzen erfolgen. Aus diesen lassen sich Planungsanforderungen im Sinne von Budgets ableiten. Budgets für Umweltinanspruchnahme und Treibhausgasemissionen stehen zumindest gleichberechtigt neben dem finanziellen Budget.

  6. Um die Ziele der Ressourcenschonung, der Erhaltung des Ökosystems und des Klimaschutzes zu erreichen müssen neben den Möglichkeiten einer Effizienzverbesserung sowie der Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen, Sekundärprodukten und erneuerbarer Energie die Nachfrage nach Fläche und Komfort hinterfragt werden. Die Suffizienz wird zu einem zentralen Ansatz.

  7. Alle ökologischen Maßnahmen beim (Um-)Bauen müssen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft und Wirtschaft untersucht und insofern einer Nachhaltigkeitsbewertung unterzogen werden. Ressourcenschonung und Klimaschutz müssen mit den Mitteln des sich an den Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung orientierenden Planens, Bauens, Betreibens und Nutzens erreicht werden.

  8. Es geht um die Eigenverantwortung aller innerhalb gesetzlicher Leitplanken. Es ist dabei die Aufgabe des Staates im Sinne seiner Aufgaben für Zukunftsvorsorge die Ziele und Rahmenbedingungen für den Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschutz zu definieren, innerhalb derer technologieoffen geeignete Lösungen entwickelt werden.

  9. Das heißt konkret: Weiterentwicklung der Bauordnungen, verbindliche Planungsziele zur Begrenzung von Ressourceninanspruchnahme und Treibhausgasemissionen im Lebenszyklus von Gebäuden für Neubau- und Modernisierungsvorhaben, Strategien für eine nachhaltige Stadt- und Quartiersentwicklung, leistungsfähige Bauprodukte mit (net)zero Emissionen und vieles mehr.

In der von Frau Ute Weiland moderierten Werkstatt wurden unter aktiver Mitwirkung der Teilnehmer:innen in ihrer Rolle als Teilgeber:innen sowie der Impulsgeber:innen folgende Aspekte herausgearbeitet:

  1. Notwendigkeit der Erweiterung der Aus- und Weiterbildung von Architekt:innen um die Aspekte des Planens und Bauens im Bestand, des Nicht-Bauens als einer Lösungsvariante

  2. Notwendigkeit einer neuen Ästhetik der Nachhaltigkeit

  3. Wert realer Beispiele als Demonstratoren

  4. Bedeutung der Zusammenarbeit der am Bau Beteiligten entlang der Wertschöpfungskette

  5. Notwendigkeit der „Übersetzung“ von Nachhaltigkeitszielen in „Denken und Sprache“ der Akteure

  6. Ökologische bzw. nachhaltiges Planen und Bauen ist mehr als nur Klimaschutz.

  7. Bedarf an praxisgerechten und planungsgeeigneten Anforderungen für eine richtungssichere Diversität der Lösungen unter Nutzung neuer Instrumente

  8. Neue Standards, eine neue Bescheidenheit, ein neues „Weniger“ (Qualitätsbegriff) - als wesentlicher Bestandteil von nachhaltigem Bauen und Leben.

  9. Es braucht NEUE Auftraggeber*innen (Kommunen, öffentliche Institutionen, ...) als gesellschaftliche Vorbilder für die Ära der Nachhaltigkeit/des nachhaltigen Bauens.

  10. Es braucht ehrliche Marktpreise, welche die ökologische Wahrheit ausdrücken (inkl. Gewinnung/Produktion, Entsorgung, Umweltfolgekosten etc)., nur so wird die Vorteilhaftigkeit des ökologischen Bauens auch ökonomisch messbar.

  11. Es braucht kreative und lustmachende Beispiele, die zeigen, dass es geht und die anregen zum Nachahmen/regionale Hubs.

  12. Wir brauchen Mut zum Ausprobieren und Experimentieren. Ein Wandel wird uns nicht gelingen, wenn nichts scheitern darf. Wir müssen das Lernen wieder lernen! Und dafür brauchen wir Neugierde, Interesse an Anderen und Anderem, die Fähigkeit zu berühren/berührt zu werden. Vielleicht ist Resonanz eine Antwort (Hartmut Rosa).

In den Impulsbeiträgen und in der Diskussion wurde u.a. auf folgende Themen eingegangen:

 

 

Grünes /ökologisches Bauen konzentriert sich auf Ressourcenschonung, Klimaschutz und Gesundheit. Es knüpft an die Traditionen des umwelt- / gesundheitsgerechten sowie flächensparenden Planen und Bauens an und bezieht solares Bauen, Bauen mit Naturbaustoffen und recyclinggerechtes Planen mit ein.

Zukunftsfähiges Planen und Bauens setzt neben Effizienz insbesondere mit Hinterfragen des Baubedarfs auf Suffizienz und mit der Nutzung erneuerbarer Rohstoffe auf die Konsistenz. Die Gewinnung und Nutzung von Sekundärmaterial aus dem Stofflager des Gebäudebestands rundet das Bild ab.

Gebäude sind kein „Sektor“, sondern ein Handlungsfeld. Wohnen ist neben Ernährung ein zentrales Bedürfnisfeld.

Innovative Ideen und gute Lösungen müssen ihren Weg in den Alltag bzw. die Realität der gebauten Umwelt finden.

Die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in das Planen, (Um)Bauen, Betreiben und Nutzen ist ein Lern- und Denkprozess. Nachhaltigkeit muss in unsere Entscheidungsabläufe und Handlungsmöglichkeiten übersetzt und integriert werden.

Es bedarf vieler guter Ideen für Bauprodukte, Bauweisen, Konzepte der Um- und Nachnutzung sowie des Nicht-Bauens sowie noch viel mehr eine Umsetzung und Verbreitung guter Beispiele.

Würden alle so leben wie wir in Deutschland bräuchten wir drei Erden. Wir wollen unseren Lebensstandard versuchen zu bewahren, müssen aber unsere Umweltinanspruchnahme reduzieren.

Ausgangspunkt für das Planen und (Um-)Bauen ist der Bestand. Rückbau, Umbau, Neubau sind Sonderfälle einer Bestandsentwicklung. Der Bestand mit seinem kulturellen, ökologischen und ökonomischen Wert muss optimal gemanagt und gestalterisch produktiv gemacht werden.

Benötigt werden Anforderungen und Normen, die sich performanceorientiert an den planetaren Grenzen und entsprechenden Budgets orientieren sowie zukunftsorientiert, alltagstauglich und planungsgerecht sind.

Bauherren und Investoren waren lange an Selbstverwirklichung oder ökonomischen Vorteilen interessiert. Eine neue Generation übernimmt Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt und fragt nachhaltige Gebäude nach. Zertifizierungssysteme sind als Motivationshilfen und Checklisten hilfreich.

Alle Akteure müssen jeweils in ihrem Arbeits- und Zuständigkeitsbereich Verantwortung übernehmen, entlang der Wertschöpfungsketten zusammenarbeiten und die Informationsflüsse in Gang bringen. Dies betrifft u.a. auch Finanzierer, Versicherer, Produkthersteller, Fondsanbieter, die öffentliche Hand.

Wandelt sich das Berufsbild von Architekt:innen      oder waren Sie schon immer Sachwalter der Bauherren und der Gesellschaft sowie der Umwelt? In jedem Falle werden sie zu Moderatoren und Gestaltern einer nachhaltigen Entwicklung unter Nutzung neuer Werkzeuge.

Leider ist die geplante Landkarte der Themen zur nachhaltigen Entwicklung nicht entstanden. Wir schlagen vor, dies zum einem „Projekt“ zu machen.

 

In der Werkstatt konnten konkrete Handlungsempfehlungen nicht ausformuliert werden. Nachstehend daher Einzelmeinungen, die – so ist zu hoffen – den Geist der Werkstatt widerspiegeln. Es werden folgende Handlungsempfehlungen unterbreitet:

An die Klassik-Stiftung: „Vom Feuerwerk zum Gesamtkonzept“

Ein Auftat nach Maß, der Begeisterung weckt, Neugier erzeugt und Handlungsbereitschaften auslöst. Die Ideenbörse ist bereits im Gang. War das aber alles nur ein buntes Feuerwerk? Wie kann das Thema geordnet werden? Brauchen wir eine „Landkarte der Themen“ mit Wegweisern, Reiseführern und Geschichtenerzählern, die auch auf historische Bezüge verweisen, Zielkonflikte erläutern und zu realisierten Beispielen führen? Brauchen wir das „Hochregallager“ des strukturieren Wissens, aus dem man sich auch Anregungen für intuitives Agieren holen kann? (TL)

„Vom Konjunktiv zur Umsetzung“

Der Weg zu einem nachhaltigen Bau- und Siedlungswesen führt über Baukultur und Partizipation.

„Die Rolle von „Wörterbüchern“ - Verständigung über klare Begriffe“

Angeregt wird ein Glossar des nachhaltigen Bauens. (KF)

„Kulturwandel und Wertekodex“

Zukunft entsteht längst überall. Wir wissen, wie 100% ökologisches Bauen geht, wir können von erneuerbaren Energien leben, es existieren diverse solidarische Projekte und Gemeinschaften – und trotzdem bauen und leben wir weitestgehend ausbeuterisch, gesundheitsschädigend, etc ... – Das ist nicht nur eine Frage von Wissen/Zugang zu Wissen. Wir brauchen einen Kulturwandel und neuen Wertekodex für unser Leben. Wirtschaft dient der Gemeinschaft/dem Gemeinwohl! Ohne diesen Wandel wird uns alles andere nicht gelingen. (KF)

An die Immobilienwirtschaft: „Nicht-Nachhaltigkeit wird zum Risiko“

Nachhaltiges Planen (Um-)Bauen und Betreiben wird zum neuen Standard. Nicht-nachhaltige Gebäude sind kaum zu vermarkten und verlieren an Wert. Nachhaltigkeit wird zur Überschrift langer Checklisten, die Einfluss auf Wertermittlung, Finanzierungs- und Versicherungskonditionen haben. (TL)

An die Gesetzgeber: „Mehr Mut zum Müssen“

Die Akteure des Marktes erkennen die Rolle des Staates als Regelsetzer im Umweltbereich an. Es ist eine Aufgabe der Zukunftsvorsorge die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren und der Generationengerechtigkeit zu dienen. Eine neue Generation von Anforderungen und Standards muss sich an den planetaren Grenzen und am Konzept der Budgets orientieren. Allgemeine Prinzipien müssen in konkrete Ziel-, Planungs- und Nachweisgrößen überführt werden, hier müssen Ziel, Anforderung und Indikator zusammenpassen. Der Staat schafft damit keine bürokratischen Hürden, sondern definiert die Leitplanken einer nachhaltigen Entwicklung. (TL)

An die Planer:innen: „Können, wollen und gelassen werden“

Angenommen sie würden gelassen – das Streben nach einem zukunftsfähigen Planen und (Um)Bauen wird hier im Sinne des Wollens unterstellt – dann müssen sie auch können. Aus- und Weiterbildung sollten sich stärker als bisher am Planen und Bauen im Bestand, an den Grundlagen der Lebenszyklusanalyse orientieren und auf neue Möglichkeiten wie BIM setzen, ohne traditionelle Themen und die Vermittlung auch einer Werthaltung aufzugeben. Dazu gehört auch, Motive, Handlungsweisen und Argumente der übrigen am Bau Beteiligten noch besser zu verstehen, einem inter- und transdisziplinären Ansatz zu folgen und die themenübergreifende Zusammenarbeit zu suchen. (TL)

An die EC: „Wettbewerb oder Breitenbewegung?“

Ist das neue Europäische Bauhaus schon richtungssicher unterwegs? Das Ziel des Auslösens einer ökologischen Bewegung und die Idee des Leistens eines wesentlichen Beitrags zur nachhaltigen Entwicklung in Europa sind noch nicht perfekt aufeinander abgestimmt. Wer in Europa nach fünf Gewinnern sucht produziert hunderte Verlierer. (TL)